Drei Tage nach dem Anschlag auf die beiden Nord Stream-Erdgasleitungen am 26. September verkündete der NATO-Rat in einer Erklärung, dass alle zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen darauf hindeuten, „dass dies das Ergebnis vorsätzlicher, rücksichtsloser und unverantwortlicher Sabotageakte“ sei. Wie in einem vorigen Artikel dargelegt, wurden in deutschen und westlichen Medien gemutmaßt, dass Russland für diesen Anschlag verantwortlich ist.
Keine gemeinsamene Ermittlungsgruppe mit Schweden und Dänemark
Da der Anschlag in den Hoheitsgewässern von zwei EU-Staaten – Dänemark und Schweden – verübt wurde und eine Energieinfrastruktur betraf, die teilweise in deutschem Eigentum steht, wäre die Untersuchung üblicherweise in Form eines „Joint Investigation Teams“ (JIT) unter der Koordination von Eurojust, der European Union Agency for Criminal Justice Cooperation, erfolgt.[1]https://www.eurojust.europa.eu/judicial-cooperation/instruments/joint-investigation-teams Diese multinationalen Teams werden gewöhnlich eingesetzt, um grenzüberschreitende komplexe Untersuchungen in Kriminalfällen schnell und und effektiv durchzuführen. In den Bereichen Cybercrime, Terrorismus, Drogenkriminalität u.a. sind die gemeinsamen Untersuchungsgruppen bereits vielfach geübte Routine.
Bei der Untersuchung der Nord Stream-Anschläge erklärte die schwedische Regierung allerdings schnell, dass sie eine solche gemeinsame Untersuchungsgruppe mit Dänemark und Deutschland nicht bilden wolle. Als Begründung führte sie an, dass die Sicherheitseinstufung ihrer Ermittlungsergebnisse zu hoch sei, um diese mit anderen Staaten teilen zu können.[2]https://www.spiegel.de/politik/deutschland/nord-stream-schweden-laesst-zusammenarbeit-bei-pipeline-ermittlungen-platzen-a-490b359c-1508-458a-bb57-954e4ce11050 Auch die dänische Regierung teilte mit, dass sie kein Interesse an einem „Joint Investigation Team“ (JIT) habe.
Diese Verweigerung einer gemeinsamen Ermittlung der drei EU-Staaten ist äußerst eigenartig, wenn man wie viele westliche Experten davon ausgehen würde, dass Russland den Anschlag selbst verübt hat. Die strenge Geheimhaltung von Schweden und Dänemark lässt sich rational nur dadurch erklären, dass beide Staaten davon ausgehen, dass nicht Russland der Täter der Anschläge ist, sondern ein westlicher Staat.
Strengste Geheimhaltung in Deutschland
Auch in Deutschland ist die Aufklärung der Nord Stream-Anschläge von einem Schleier der Geheimhaltung umgeben. Entgegen demokratischer Geflogenheiten verweigert die Bundesregierung den Bundestagsabgeordneten eine Auskunft über die bisherigen Ermittlungsergebnisse.
Die Bundesregierung begründete dies in einer Antwort auf die Anfrage einer Bundestagsabgeordneten damit, sie sei „nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form – erteilt werden können.“ Als Grund nannte sie die „Third-Party-Rule“ der internationalen Geheimdienstkooperation. Danach gelten für den Austausch von Geheimdienstinformationen besonders strenge Geheimhaltungsregeln. Die Bundesregierung teilte dazu mit: „Die erbetenen Informationen berühren somit derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt und das Fragerecht der Abgeordneten ausnahmsweise gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen muss.“ Mit anderen Worten: Die Bundesregierung hat vermutlich Erkenntnisse, will sie den Bundestagsabgeordneten aber nicht mitteilen.[3] … Continue reading
Doch wie passt das mit der anfänglichen Schuldzuweisung an Russland zusammen? Roman Zeller fragte in der schweizerischen Weltwoche ganz und gar nicht dumm, ob man die Erkenntnisse auch geheim halten würde, wenn es Hinweise auf die russische Täterschaft gäbe.[4] … Continue reading
Wenn Russland tätsächlich seine eigenen Pipelines gesprengt haben sollte, wie eilfertig ein Professor der Universität der Bundestag behauptet hatte, dann sollte die Bundesregierung doch ein Interesse daran haben, die entprechenden Beweise den gewählten Abgeordneten des Bundestages, wenn nicht sogar der Öffentlichkeit, mitzuteilen. Auch hier ist die strenge Geheimhaltung verdächtig.
Deutschlands 9/11
Diese Ungereimheiten lassen den Anschlag vom 26. September als eine Tat erscheinen, die mehr ist als ein bloße Zerstörung einer Ergasleitung. Sollte nicht Russland dafür verantworlich sein, sondern ein westlicher Staat, etwa die USA oder Großbritannien, so wäre dies für Deutschland ein Ereignis, dass mit den Anschlägen vom 11. September 2001 vergleichbar ist.
Bereits jetzt gibt es eine frappierende Gemeinsamkeit. Ebenso wie die Aufklärung der Nord Stream-Anschläge sind auch die betreffend 9/11 von einem Schleier der Geheimhaltung umgeben. So sind entliche Stellen im offiziellen 9/11-Untersuchungsbericht für die Öffentlichkeit geschwärzt und viele Details nicht hinreichend aufgeklärt worden.
Wenn man versucht, einen rationalen Grund die ungewöhnliche Geheimhaltung des 26/9-Anschlags – wie man ihn vielleicht künftig nennen wird – zu finden, so muß man unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass nicht Russland der Täter ist, sondern ein westlicher Staat, wie hier bereits in einem früheren Artikel dargelegt wurde. Denkt man dies konsequent weiter, so ergibt sich daraus eine ernsthafte Sollbruchstelle innerhalb des westlichen Bündnissystems.
Dies historischen Analogien, die hier naheliegen sind die sowjetische Interventionen in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968. Dort zeigt sich, dass die Sowjetunion nicht der Befreier und Freund des ungarischen und des tschechoslowakischen Volkes war, sondern deren Unterdrücker.
Wurde 26/9 von Großbritannien verübt?
Da die Öffentlichkeit aufgrund der Geheimhaltung keine Informationen von den staatlichen Untersuchungen erhält, ist sie auf die Gerüchte angewiesen, die im Internet auftauchen.
Die vielleicht interessanteste stammt von Kim Dotcom, vormals Kim Schmitz, einem deutschstämmigen Hacker, der nun in Neuseeland lebt. Auf Twitter schrieb er am 6. November:
Nach seinen Informationen – deren Quelle er allerdings nicht offenlegt – soll also Großbritannien den Anschlag verübt haben. Dabei konkret vermutlich die Spezialeinheit Special Boat Service (SBS) der britischen Royal Navy.
Den Beweis bildet nach Angaben von Dotcom eine SMS mit dem Inhalt „It’s done.“ (Es ist getan), welche die damalige britische Premierministerin Liz Truss nur kurze Zeit nach dem Anschlag an den US-Außenminister Antony Blinken geschickt haben soll. Bekannt wurde diese SMS laut Dotcom, weil der iCloud-Account von Truss gehackt wurde.
Diese Täterzuschreibung deckt sich zumindest mit den Behauptungen der russischen Regierungen, die ebenfalls Großbritannien für den Anschlag verantwortlich macht.[5]https://www.reuters.com/world/europe/russia-says-british-navy-personnel-blew-up-nord-stream-gas-pipelines-2022-10-29/ Allerdings hatte auch Russland noch keine nachprüfbaren Belege für seine Anschuldigung vorgelegt.
Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis belastbare Beweise für die Täterschaft der Nord Stream-Sprengung veröffentlicht werden. Reichte es früher aus, ein paar Zeugen umzubringen, um eine Sache geheimzuhalten, geht es heute auch darum, alle elektronischen Daten zu unterdrücken, die auf den Täter hindeuten. Dies aber ist kaum möglich. Die großen Mächte – USA, Russland und China – haben gewaltige elektronische Überwachungs- und Spionagekapazitäten aufgebaut. Auch andere Staaten verfügen über hinreichende Spionagekapazitäten, um sich die gewünschten Daten beschaffen zu können. Kim Dotcom geht davon aus, dass den Führern der zwanzig führenden Staaten im Bereich der Spionage die Täterschaft der Nord Stream-Sprengung bekannt ist. Zudem ist die Ostsee eines der bestüberwachten Meere überhaupt. Es ist also davon auszugehen, dass genügend Daten existieren, die den oder die Täter eindeutig zu überführen. Ob diese Daten dann von einem Whistleblower veröffentlicht werden oder von einem staatlichen Akteur, ist einerlei. Die Uhr tickt…
Anmerkungen