Im Sommer 1878 tagte im Roten Rathaus der Berliner Kongress. Nach dem Angriff Russlands auf das Osmanische Reich hatte Reichskanzler Bismarck alle Konfliktparteien in die deutsche Hauptstadt eingeladen, um als „ehrlicher Makler“ zwischen den kriegführenden Staaten zu vermitteln. Der Berliner Vertrag, der schließlich von den Vertretern der Russen, Türken, Briten, Franzosen, Österreichern, Italiener, Griechen, Serben und Rumänen unterzeichnet wurde, trug den neuen kontinentalen Kräfteverhältnissen Rechnung und etablierte eine europäische Friedensordnung, die bis zum Ersten Weltkrieg Bestand hatte. Noch heute hängt im Festsaal des Rathauses ein Gemälde, das an die Unterzeichnung des Friedensvertrags am 13. Juli 1878 erinnert.
Bismarcks Berliner Kongress liegt mittlerweile fast 150 Jahre zurück. Deutschland war zu jener Zeit eine aufstrebende Macht, die sich auf die effiziente preußische Verwaltung, ein leistungsfähiges Bildungssystem und eine innovative Industrie stützen konnte. Erst wenige Jahre zuvor hatte sich Deutschland mit dem Sieg über Frankreich und der Reichseinigung im Versailler Schloss als starke Stimme im europäischen Konzert der Mächte zurückgemeldet.
Dieser politische Bedeutungsgewinn gründete auf der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit des norddeutschen Bundes. Noch vor der französischen Kriegserklärung im Juli 1870 hatten die Länder des wiederentstehenden Reichs das revolutionsmüde Frankreich wirtschaftlich überflügelt. Während Frankreich seit 1815 seinen Weltmachtstatus immer mehr einbüßte, gewann Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts kontinuierlich an wirtschaftlichem und damit auch an politischem Gewicht.
Dieser Aufstieg fand 1914 ein jähes Ende. Neben Menschenleben verlor Deutschland in zwei vernichtenden Niederlagen einen großen Teil seiner wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Gestaltungskraft. Selbst durch das „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit konnte die Bundesrepublik nie wieder an die wirtschaftliche Stärke des Kaiserreichs anknüpfen.
Durch den Ukrainekrieg wird dieser wirtschaftliche und politische Niedergang noch beschleunigt. Als Exportnation in der Mitte Europas ist Deutschland in besonderer Weise von den Sanktionen gegen Russland betroffen.
In den ersten Wochen des Ukraine-Kriegs verlor der deutsche Aktienindex 16% seines Wertes, doppelt so viel wie der amerikanische Dow Jones. Die Marktkapitalisierung der deutschen Aktiengesellschaften ist seit Beginn des Kriegs um ein Fünftel gefallen und steht nur noch für knapp über 2% des weltweiten Gesamtwerts. Dieser wirtschaftliche Bedeutungsverlust wird sich negativ auf den Handlungsspielraum deutscher Außen- und Sicherheitspolitik auswirken.
Während Berlin vor 100 Jahren der bedeutendste Industriestandort Europas war, ist die deutsche Hauptstadt heute ein müder und verwahrloster Sozialfall. Im Berliner Rathaus regiert eine überführte Betrügerin und Hochstaplerin, die ihr Amt der Ahnungslosigkeit einer geriatrischen Wählerschaft verdankt. Weit entfernt sind wir heute von Bismarcks kluger Außenpolitik, die Deutschland als unabhängigen und selbstbewussten Staat in der Mitte Europas etablierte. Doch der Blick auf Deutschlands schwindende Wirtschaftskraft zeigt: Es fehlt nicht nur der Wille, es fehlt auch die Kraft. Die deutschen Banner sind eingeholt. An ihren Masten klirren die Fahnen einer fremden, unbekannten Macht.