Die ARD-Talkshow Maischberger gab in der Sendung vom 20. September 2022 einen entlarvenden Einblick in die außenpolitische Gedankenwelt des bundesdeutschen Establishments. Im Kontext eines Gesprächs über den Ukraine-Krieg sagte Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), derzeit Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, in der Sendung wörtlich:
“Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die UN entstanden. Gerade aufgrund der grauenvollen Morde im Zweiten Weltkrieg. Dass nie wieder ein starkes Land ein schwaches überfällt, Grenzen einfach überrennt und der Stärkere dann auch noch Erfolg hat. Auch noch Erfolg hat dahingehend, was er macht.”
Das Zitat findet sich nachfolgenden Video ab 5:23 min:
Man könnte annehmen, dass die Vorsitzende des Verteidigungsauschusses des Deutschen Bundestages mit der Geschichte der Vereinten Nationen und der Weltpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg – insbesondere mit den Handlungen der Großmächte – vertraut ist. Die eingangs zitierten Sätze von Frau Strack-Zimmermann zeigen jedoch, dass dies augenscheinlich nicht der Fall ist.
Entgegen der Ansicht der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses wurden die Vereinten Nationen nämlich nicht nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, sondern während des Krieges – als Bündnis gegen Deutschland. Am 1. Januar 1942 unterzeichneten 26 Staaten während der Arcadia-Konferenz in Washington die Declaration by United Nations. Wesentlicher Inhalt dieses Vertrages war, dass den Unterzeichnerstaaten mit dem Vertrag verboten wurde, einen Waffenstillstand oder Frieden mit Deutschland zu schließen. Die Charta der Vereinten Nationen wurde im Februar 1945 auf der Konferenz von Jalta zwischen den Alliierten vereinbart und am 26. Juni 1945 – drei Monate vor Beendigung des Zweiten Weltkriegs – auf der Konferenz von San Francisco von 50 Staaten unterzeichnet. Die Funktion der United Nations (UN) als Kriegsbündnis gegen Deutschland und die anderen Achsenmächte ist an den noch immer bestehenden Feindstaatenklauseln in der UN-Charta deutlich erkennbar.
Diese Unkenntnis der Geschichte der UN wäre noch verzeihlich, würde sie nicht zugleich mit einem peinlichen politischen Moralismus einhergehen. Denn wenn Frau Strack-Zimmermann meint, die UN würde gegründet, damit “nie wieder ein starkes Land ein schwaches überfällt“, entlarvt sie damit ungewollt ihre außenpolitische Naivität. Allein ein Blick auf die Unterzeichnerstaaten der UN-Deklaration und der UN-Charta, zu denen an prominenter Stelle auch Stalins Sowjetunion gehört, sollte sie eines besseren belehren. Denn diese verkörperte den von Frau Strack-Zimmermann imaginierten UN-Friedensgeist ganz und gar nicht. Bekanntlich überfiel die Sowjetunion im September 1939 nicht nur das schwächere Polen, sondern im November 1939 auch gleich noch Finnland und im Juni 1940 auch die drei baltischen Staaten.
Auch in den Jahrzehnten nach 1945 diente die UN keineswegs dazu, Überfälle starker Staaten auf schwächere Staaten zu verhindern. Vielmehr konnten vier der fünf Mitglieder des UN-Sicherheitsrates – die USA, die Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich – fortan nach Belieben schwächere Staaten überfallen, ohne daran gehindert zu werden. Denn dank ihres Veto-Rechtes konnten diese jegliche UN-Handlungen gegen sich unterbinden.
Die Fälle in denen diese vier Staaten von ihrem außerordentlichen Privileg Gebrauch machten, sind zu zahlreich, um sie hier alle auflisten zu können. Pars pro toto seien nur genannt:
- der Sturz der Mossaddegh-Regierung des Iran 1953,
- der Suezkrieg gegen Ägypten von 1956,
- der 1965 begonnene Vietnamkrieg,
- der 1979 begonnene Afghanistankrieg,
- der 2003 begonnene Irakkrieg.
Dazu kommen unzählige verdeckte Kriege in Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten. Allesamt verübt von vier Großmächten, die als Mitglied des Sicherheitsrates im Rahmen der UN-Charta rechtlich unangreifbar sind.
Natürlich kaschieren diese Großmächte ihre Aktionen stets als notwendige Maßnahmen zur Verteidigung der “wertebasierten Ordnung”, als “Demokratieexport” oder “Terrorismusbekämpfung”. Sie sagen dies freilich, ohne dass sie selbst an diese Propagandaphrasen glauben.
Ganz anders dagegen das bundesdeutsche Establishment. Dank erfolgreicher Reeducation ist in Deutschland die eigene Strategiekultur (strategic culture) nahezu vollständig verschwunden. An die Stelle der vor 1945 die Realpolitik lehrenden deutschen Geopolitik traten sogenannte “Friedensforscher” und “Politologen”, welche der Bundesrepublik jegliches Denken über eigene nationale Interessen und Realpolitik austrieben. Die Lücke wurde nahezu vollständig mit weltpolitischer Naivität und politischem Moralismus gefüllt. Die derzeitige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses steht beispielhaft für das Ergebnis dieser Entwicklung: Sie klammert sich an eine imaginäre “wertebasierte Ordnung”, die es aber stets nur in Vertragstexten und Propagandareden gab, jedoch nie in der Wirklichkeit. Dort gilt seit jeher nur eines: das Recht des Stärkeren.