Der Titel der Limes 12/2020 verbindet mit Klima und Coronavirus zwei Themen, welche durch Politik, Medien und NGOs als größte Bedrohungen unserer Zeit angesehen werden. Was sie nach Ansicht des Limes-Herausgebers Lucio Caracciolo darüberhinaus verbindet ist die Vermutung der Globalität.
Aus geopolitischer Sicht muss er dieser Vermutung jedoch widersprechen. Die Geopolitik studiert, wie sich Nationen und andere menschliche Gruppen mit ihren jeweiligen Interessen in Konflikte geraten. Ebenso, dass nichts wirklich global ist. Auch der Klimawandel hat weltweit ganz unterschiedliche Auswirkungen und damit unterschiedliche Folgen für die verschiedenen geopolitischen Akteure. So ist die Erderwärmung in einigen Regionen eine Bedrohung, während sie im artischen Raum neue Schifffahrtsrouten erschließt und damit zu einer Chance wird. Auch die Corona-Pandämie hat weltweit ganz unterschiedliche Wirkungen. Während sie durch vormalige Erfahrungen und starke soziale Disziplin in Asien relativ schnell überwunden wurde, lähmt die anderen Teilen der Welt getroffenen Maßnahmen die Wirtschaft und das öffentliche Leben.
Das „Globale“, das mit Klimawandel und Coronavirus gemeinhin verbunden wird, erklärt nach Ansicht von Caracciolo nichts und will allein zum bestimmten rettenden Handeln zwingen, es ist eine reine Ideologie. Mit der Behauptung des Globalen wird manipuliert, es wird ein Theater der Not aufgebaut. Gegen globale Probleme sollen allein globale Lösungen helfen.
Kooperation ist durchaus nötig, doch verwechseln die Ideologen „global“ und „international“. Die Vereinten Nationen sind keine globale Organisation, sondern eine internationale. Sie steht nicht über den Staaten, sondern zwischen ihnen. Gleiches gilt für das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC).
Es liegt anscheinend in der Natur der Sache, dass die Rufer nach globalen Lösungen sich einer totalen Rhetorik bedienen. Es ist daher notwendig, dass wir uns von der Rhetorik des Globalismus trenen. Wer ernste Bedrohungen stets als die bevorstehende totale Apokalypse ausmalt, der hilft nicht, sondern provoziert letztlich nur Resignation oder pure Verzweiflung. Die Geschichte hat gezeigt, dass sich Menschen nur für die Gemeinschaft aufopfern können, der sie sich zugehörig fühlen. Und diese Gemeinschaft ist nicht die Welt, sondern die Nation. Sie ist der geopolitische Akteur par excellence.
Die Geopolitik lehrt, dass Staaten nur als Nationalstaaten handlungs- und widerstandsfähig sind, weil nur sie in einem Nationalgefühl verwurzelt sind, dass über Jahrhunderte bewässert und so zu einer festen Kultur geworden ist. Wer meint, einen Staat oder eine Gemeinschaft per Dekret gründen zu können, der wird sehen, dass von ihnen im Krisenfall bestenfalls die Hülle übrigbleiben wird — formale Institutionen und Stapel von Briefpapier.
Um in ökologischen oder gesundheitlichen Notlagen bestehen zu können, braucht ein Nationalstaat eine mobilisierende Identität. Multikulturalismus ist daher nicht resilient. Nur ein Staat, der in der Lage ist, den Zusammenhalt seiner Bürger zu organisieren, kann Krisen meistern. Nur eine gemeinsame Identität veranlasst die Menschen zur Solidarität. Ein solcher Staat kann auch nicht unbegrenzt expandieren, also nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen und integrieren — genauer: assimilieren —, denn seine Resilienz hängt davon ab, dass seine Bürger das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer einzigartigen Gemeinschaft haben, welche die Vergangenheit mit der Zukunft verbindet.
Wer die Umwelt oder die öffentliche Gesundheit erhalten will, muss seinem Nationalstaat ein langes Leben wünschen. Wer hingegen den Nationalstaat auflösen möchte, vielleicht im Namen der gesamten Menschheit, der untergräbt damit die Grundlagen seiner eigenen Sicherheit.
Lucio Caracciolo zeichnet damit das Bild eines Konfliktes zwischen dem Globalen und dem Nationalen, zwischen Globalisten und Patrioten, welcher sich in der Bewältigung des Klimawandels, wie auch des Coronavirus, überdeutlich zeigt. Seine Schlussfolgerung: Wer sich um die Zukunft der Erde sorgt, der sollte sich um die Zukunft des Nationalstaats sorgen.
Neben diesem Konflikt zwischen dem Globalen und dem Nationalen sind Klimawandel und Coronavirus auch zum Gegenstand der Großmachtkonkurrenz zwischen den USA und China geworden. Das Virus wurde zum Gradmesser der systemischen Leistungsfähigkeit der beiden Systeme. Während die Pandämie in den USA die Brüchigkeit der Gesellschaft aufgedeckt hat, bewältigte China mit strenger Disziplin. Die Schwäche des liberalen amerikanischen Modells einer in multi-identitären Gesellschaft zeigt sich ebenso deutlich wie die Stärke der mono-identitären Gemeinschaft der Chinesen, welche dazu erzogen wurden, den Aufstieg der letzten Jahrzehnte vor dem Hintergrund des „Jahrhunderts der Demütigung“ (1839-1949) zu messen.
Erst in der Krise zeigt sich die Qualität eines politischen Systems. Und dessen höchste Qualität ist Resilienz, die Fähigkeit der Selbsterhaltung in Notlagen. Dies lässt sich als weitere Schlussfolgerung aus dem Editorial von Lucio Caracciolo ziehen. Er beendet es mit einem Hinweis auf George Perkins Marsh (1801-1882), einem Vorläufer des Umweltschutzgedankens. Er postulierte, dass die Natur ein autarkes System ist, in das der Mensch eingreifen und es damit aus der Balance bringen kann. Er kann es aber durch seinen Eingriff auch wieder zurück in die Balance bringen. Gut geführte menschliche Kollektive können mit dem notwendigen Wissen im Einklang mit dem ökologischen Gleichgewicht leben. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich auch das politische Kollektiv, die Nation, im Gleichgewicht befindet. Diese Botschaft sieht Caracciolo vor allem an die USA gerichtet.
Der weitere Inhalt der neuen Limes-Ausgabe gliedert sich in drei Abschnitte. Der erste Teil widmet sich den funktionalen und philosophischen Verbindungen zwischen „Umweltschutz und Viralismus“ (Ambientalismo e viralismo), der zweite den sozioökonomischen und geostrategischen Auswirkungen des Coronavirus, welches nicht für alle Staaten die gleiche verheerende Wirkung hatte. Der dritte Teil geht verschiedenen Fragen der Umwelt nach („Umwelt als Waffe“).
Alles in allem bietet die neue Limes-Ausgabe einen geopolitischen Blick auf zwei Themenbereiche, die in Deutschland nur sehr selten derartig nüchtern und klar betrachtet werden, wie in dieser Ausgabe.